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Abklang des Surrealismus, gestische und strukturelle Abstraktion (50er Jahre des 20. Jahrhunderts)

Neben schwer eingliedernden Solitären kann man in der inoffiziellen Sphäre der bildenden Kunst der fünfziger Jahre ein paar unterschiedliche Meinungs- und Formalströme inklusive eines Überlappens der Generationen finden. Vereinfacht gesagt: die ältesten nicht konformen Künstler in verschiedenen persönlichen Lagen entwickelten aktuell die Vermächtnisse der Vorkriegs-Avantgarde, in der angesichts der gesellschaftlichen Realität vor allem der Surrealismus als immer noch aktuell erschien. Bei jungen Künstlern treffen wir vor allem auf verschiedene Gestaltungen der figurativen Kunst, die aus der Belehrung mit der klassischen Moderne entstammen, die bis zur ängstlichen Gestaltung umgeschmolzen wurde.

Tapfer und in eine ganz andere Richtung schritten einige Einzelgänger, die in der Zeit, als die Abstrakte Kunst in Tschechien als unerwünscht angesehen wurde, in die breite Richtung der lyrischen oder gestischen Abstraktion eintraten. Zu diesen Solitären gehörte zum Beispiel Jan Kotík, der in den fünfziger Jahren nicht dem sozialistischen Realismus unterlag, sondern seiner modernen Kunst treu blieb. Seine Leinwand Hlava krále - Der Kopf des Königs aus dem Jahre 1959 ist ein hervorragendes Beispiel des Überganges des Künstlers von der zivilistischen Thematik der vierziger Jahre und des Anfangs der fünfziger Jahre zu einer eigenwilligen Gestaltung der gestischen Malerei. Das Bild ist durchtreten von Freude der freien Malkunst.

Am Ende der fünfziger Jahre formierte sich, für die Öffentlichkeit zwar undeutlich, aber für die heutige Kunstgeschichte ganz klar, eine starke Generation von jungen Künstlern, die meistens noch an Kunsthochschulen studierten. Sie wollten in der tschechischen Umgebung das durchsetzen, was in Westeuropa bereits grob unter dem Namen Informel akzeptiert wurde, also eine Kunst, die in der tschechischen Umgebung breiter als Strukturelle Abstraktion verstanden wird.

Obwohl sich nach dem Enthüllen von Stalins Kult der Persönlichkeit im Jahre 1956 die kulturelle Politik allmählich lockerte, beherrschte die Gesellschaft ohne grundlegende Menschenrechte immer noch die Kommunistische Partei und tausende politische Gefangene litten im Gefängnis. Hierher stammt die fast brutale Verarbeitung der “Haut” der größeren Werke, bei anderen ist wieder eine deutliche Wende zur Spiritualität zu spüren. Im Geiste der rohen, authentischen Wirklichkeit schufen am Übergang der 50er und 60er Jahre zum Beispiel Aleš Veselý, in dessen Werken mit dem anwachsenden Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung in dem stickigen politischen Klima des damaligen Regimes anfingen brutale, verrostete und destruierte Elemente aufzutauchen. Wir können es an seiner Arbeit Obraz-Objekt - Bild-Objekt sehen, die in den Jahren 1960-1964 entstand. Sie trägt das Gefühl von Aussichtslosigkeit und Verschlossenheit in sich, aber auch die Hoffnung in die Vernichtung des bedingten Raumes und seiner Grenzen. Veselý negiert hier die zweidimensionale Malfläche durch ihr zerreißen und erhöht sie mit Hilfe einer Sprungfeder, die in den Raum hineinragt zu einem dreidimensionalen Objekt. Er verstößt dadurch gegen die formalen Regeln der klassischen Malkunst und tritt aus dem Rahmen des Bildes, als Symbol der angeeigneten Ordnung in Richtung Bewegung - in Richtung Leben heraus.