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Schrift und Gemälde, visuelle Poesie (60er - 80er Jahre des 20. Jahrhunderts)

Ein außergewöhnliches Phänomen der sechziger Jahre in dem euro-atlantischen Raum war das erneuerte Interesse am Kennenlernen der Avantgarde Kunst in ihren Linien, die den damaligen Theoretikern als die radikalsten und auch noch unausgeschöpften für die bestehende Kunst erschienen. Zu ihnen gehörte auch die Erforschung der Beziehung zwischen Bild und Schrift, an deren Pfeilern die christlich-antike Zivilisation aufgebaut ist. Eine ihrer Früchte war neben einer Reihe weiterer Innovationen eine starke Welle sog. experimenteller oder visueller Poesie, die neue Gestalten der Beziehung zwischen der Verbildlichung und dem Text erforschte und ausbreitete, und die in den 70er Jahren in verschiedene Arten von konzeptueller Poesie ausmündete.

Zu originellen Konzepten dieser Beziehung im tschechischen Umfeld gehören Gittergedichte von Jan Wojnar, der die Beziehung zwischen den zwei Strukturen visualisierte. Beispiel dieser damals in der tschechischen Kunst ungewöhnlichen Einstellung ist Prostorová mřížková báseň - Das räumliche Gittergedicht aus dem Jahre 1976, das wir uns ansehen können. Teil dieses Bild-Gedichtes ist das Bemühen des Autors, dass aus dem passiven Zuschauer ein aktiver Beobachter, beziehungsweise “Mitautor” des Werkes wird. Teil von Wojnars “offenen Werken” ist also auch der Zuschauer, aber unter der Voraussetzung, dass er die angebotenen “Spielregeln” akzeptiert. Die Problematik des “offenen Werkes” erweiterte der Autor einige Jahre später um nicht weniger originellen Gedicht-Objekte zusammenfassend als Sanduhr Gedichte bezeichnet. Wojnars ungewöhnlich breites Schaffen gehört zu den ursprünglichsten Äußerungen der tschechischen Konzeptkunst.