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Abklingen der Traditionen

Die europäische Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von der revolutionären Veränderung der Sicht geprägt, die wir gewöhnlich schon mit dem Realismus und Naturalismus, aber vor allem mit dem Impressionismus verbinden. Die neuen Stile reagierten auf die gesellschaftlichen Veränderungen und auch auf die Entdeckungen im Bereich der Wissenschaften, vor allem der Optik. Die Kunstwerke sollten sich der Atmosphäre des realen Lebens intensiver annähern. Die Künstler wandten neue Erkenntnisse über Farben, Spektrum und Licht an, sie veränderten die angeeigneten Prinzipien der Harmonie und der Farbenlegung. Den Umbruch des Jahrhunderts eroberte dann allmählich der Jugendstil, der letzte universelle Stil, der Zweckmässigkeit und Dekoration verband. Eine Reihe von Künstlern entspannte den Lauf der Sicht und Inspiration und wandte sich ganz von den Ausdrucksformen des vorherigen Jahrhunderts ab. Deshalb war der Beginn des 20. Jahrhunderts so eine außergewöhnliche, kontroverse und künstlerisch fruchtbare Zeitperiode, in der sich die Umwandlung zur modernen Kunst des 20. Jahrhunderts verwirklichte.

Ein wundervolles Beispiel eines symbolischen Jugendstil Gemäldes ist der Traum des Mädchens (Sen dívky) von Jan Preisler - es deklariert den freien Sinn und die Offenheit der modernen tschechischen Gesellschaft, die die Gleichheit beider Geschlechter respektiert und auch nicht vor dezent deklarierter Erotik und Vitalismus zurückweicht. Dieses Bild sollte einen badenden Mädchen Akt darstellen, der Künstler änderte aber im Verlauf der Arbeiten dieses Konzept - in das Zentrum der Komposition stellte er ein stolzes und ein wenig provokativ stehendes, barfüßiges Mädchen in einem gelben Kleid, das die Farbe der Sonne, der Blumen und der Helligkeit symbolisiert. Der Traum des Mädchens ist zusammen mit dem Gemälde Traum des Jungen Teil eines Diptychons, das Preisler im Jahre 1907 für das neu gebaute Volkshaus in Prostějov schuf.